Vorbereitung
Die Info kam durch unseren Erasmus+-Koordinator des SSG, Herrn Kollinger, per Iserv an das Kollegium: Unsere Schule ist für Erasmus+ akkreditiert (es gibt also auch Fördergelder), und es gibt die Möglichkeit, entweder Fachseminare / Workshops im Ausland oder aber Schulhospitationen, sog. Job-Shadowing, zu absolvieren. Meine Bewerbung für ein Job-Shadowing in Esbjerg, eine 70.000 Einwohner umfassende Stadt an der südlichen dänischen Nordseeküste, war erfolgreich. Die Kontaktaufnahme mit der verantwortlichen Koordinatorin der Kommune Esbjerg gestaltete sich als zuverlässig und freundlich. Schnell fand sich eine Schule, die Signatur Skads Skole in Andrup. Diese ist, wie in Dänemark üblich, eine Folkeskole und umfasst die 1.-9. Klasse, wobei es keine Aufteilung der Schülerschaft nach Leistung gibt. Auch eine Betreuungsperson vor Ort, der Lehrer Herr A. fand sich. Auch mit ihm waren die vorher ausgetauschten Emails vielversprechend, ich war in guten Händen.
Nun muss ich noch anfügen, dass ich das dänische Esbjerg aus bestimmten Gründen ausgesucht hatte:
- Ich wollte beobachten, ob das bekannte dänische Gemeinschaftsgefühl eher auf einem Klischee beruht oder ob dieses, soweit tatsächlich existent, schon bereits in der Schule angelegt wird.
- Dänemark ist europaweit an der Spitze im Bereich des Ausbaus der erneuerbaren Energien, auch wurde bereits vor 10 Jahren ein Verbot des Einbaus von Öl- und Gasheizungen in Neubauten beschlossen – dies alles ohne wirklichen Widerstand eines größeren Bevölkerungsteils, sondern vielmehr von der dänischen Gesellschaft weitgehend als notwendig angesehen und akzeptiert. In Deutschland gab es bei diesem Thema landesweite Proteste und Schmähungen. Wut und Hassreden gab es leider zuhauf, eine sachliche Diskussion fand im Prinzip nur in den Feuilletons der überregionalen Zeitungen statt. Daraus ließen sich drei weitere Beobachtungsfragen ableiten:
- Worin liegt dieser Unterschied begründet, lassen sich hierfür auch Ansätze im sozialen Miteinander finden, welches natürlich auch durch Schule geprägt wird?
- Wird der Gedanke des nachhaltigen Handelns in Dänemark erfolgreicher vermittelt als in Deutschland?
- Werden demokratisch legitimierte Entscheidungen auch eher akzeptiert, auch wenn für einen dadurch persönliche Nachteile entstehen (die Allgemeinheit aber profitiert)?
- Seit einem Studienaufenthalt in Kopenhagen vor 26 Jahren spreche ich noch ein passables Dänisch, sodass ich hoffte, nicht nur Interaktionsvorgänge zu sehen, sondern auch die Kommunikation innerhalb des dänischen Kollegiums und die Lehrer-Schüler-Kommunikation erfassen zu können und hieraus Erkenntnisse zu gewinnen. Esbjerg ist eine (im dänischen Sinne) Großstadt, die relativ nah an der deutsch-dänischen Grenze liegt und der Reiseaufwand sich damit in Genzen halten sollte.
Eine Unterkunft in Esbjerg war zu Beginn des Jahres schnell gefunden. Da ich per PKW anreisen wollte, waren sowohl Mobilität und Flexibilität vor Ort gewährleistet. Am Tag vor Beginn des Job-Shadowings (Sonntag) fuhr ich die Strecke zwischen Wohn- und Schulort noch einmal ab, damit ich ja nicht zu spät kommen würde.
Montag, 13.05.
Um 7.30 Uhr war ich mit Kollege A im Lehrerzimmer verabredet, kam aber bereits um kurz nach 7 an der Schule an. Noch niemand zu sehen, alles zu… Eine Mitarbeiterin der Schule, die aus einem Nebengebäude auf den Schulhof kam, ließ mich nach kurzem Gespräch schon mal ins Gebäude und ins Lehrerzimmer, einen praktisch völlig Fremden.
Zur angekündigten Zeit kam dann auch Kollege A ins Lehrerzimmer und es gab eine wirklich nette Begrüßung. Die Kommunikation fand hier sowohl auf Deutsch, Dänisch und Englisch statt. Es ging dann auch gleich los in den Unterricht, eine 4. Klasse. In dieser ersten Unterrichtsstunde (die jeweils 90 Minuten lang sind und der stets eine 30-minütigen Pause folgt) gab es schon die ersten deutlich erkennbaren Unterschiede der beiden Schulsysteme:
- die Lehrkraft ist ca. 10 Minuten vor der 1. Stunde im (bis dahin noch abgeschlossenen) Klassenraum und nutzt diese Zeit, um sich mit den dann bereits anwesenden SuS auszutauschen, sich Erlebnisse des Vortags, aber auch Sorgen und Nöte anzuhören. Das Argument, was nun auf deutscher Seite zu hören wäre („das sind 50 Minuten Mehrarbeit pro Woche!“), spielt in sofern in Dänemark keine Rolle, da dort die Lehrkräfte am Ende des Tages PC-gestützt ihre an dem Tag geleistete Arbeitszeit erfassen und eintragen. 41 Stunden pro Woche sind gesetzt, bei Überstunden gibt es die Möglichkeit von zeitlichen Entlastungen (wobei der zu gebende Unterricht aber grundsätzlich unberührt bleibt).
- es gibt eine deutlich größere Nähe zwischen den Lehrkräften und den SuS (auch in darüber gelegenen Jahrgängen). So ist es zum einen in Dänemark üblich, dass die Lehrkräfte geduzt werden und auch gerne mal von den SuS in den Arm genommen werden. Dies geschieht auf eine sehr natürliche Art und Weise und absolut unproblematisch, wo es in Deutschland extrem unüblich / unpassend wahrgenommen würde, wenn eine Lehrkraft von SuS einer z.B. 6. Klasse vor dem oder im Unterricht umarmt würden. Erfassbar war hiermit eine große Vertrautheit und damit auch ein Ver- bzw. Zutrauen untereinander, welches so zwischen diesen Gruppen in Deutschland nur schwer vorstellbar ist.
- Smartphones sind bei allen SuS dieser Altersgruppe vorhanden – diese werden aber vor Beginn der Stunde in einer Schaumstoffbox eingesammelt (gilt für alle Jahrgänge) und zum Teil offen im Klassenraum oder im Klassenschrank eingeschlossen verwahrt. Ein Vorstoß in diese Richtung ist am SSG schon gemacht worden, eine Umsetzung ist aber eher aus diversen Gründen fraglich. Auch gibt es nach Aussagen der Lehrkräfte vor Ort kein Problem mit Diebstählen, so hängen noch – wie bei uns vor langer Zeit auch noch üblich – die Jacken im Flur VOR dem Klassenraum.
- jeder SuS verfügt über ein von der Schule gestelltes (ich weiß nicht, ob es voll finanziert wurde) Endgerät (Laptop).
Der Unterricht von Kollege A war sehr praxisorientiert, so ging es nun darum, als „Naturdetektive“ draußen Insekten zu sammeln (ohne sie zu töten), mithilfe von Bestimmungsbüchern anschließend im Fachraum (NaWi) zuzuordnen und dann wieder freizulassen. Aufzeichnungen hierzu wurden nicht angefertigt, der Schwerpunkt lag beim praktischen Handeln. Dies ist jedoch typbedingt, bei anderen Lehrkräften, die ich im Unterricht erleben durfte, war auch die Dokumentation von Ergebnissen durchaus wichtig.
Beim anschließenden Mathetest ging es auch eher um die Auseinandersetzung mit der Themenstellung als um der Herstellen einer Prüfatmosphäre. So konnten die SuS während des Tests mit Fragen zur Lehrkraft kommen, wobei es hier aber auch nur die lehrertypischen „Gedankenstubser“ gab. Diese gefühlte Lockerheit hat meines Erachtens auch zum Teil damit zu tun, dass es in Dänemark erst ab der 8. Klasse (wenn ich das richtig verstanden habe, aber auf keinen Fall früher) Noten gibt. Es findet nach der 4. Klasse auch keine Aufteilung der SuS in unterschiedliche Leistungsstufen statt, da in der Folkeskole die SuS gemeinsam bis zur 9. Klasse unterrichtet werden und es ein Sitzenbleiben auch nur in wirklichen Ausnahmefällen gibt.
Zum Ende des Tages gab es mit der zweiten 4. Klasse noch einmal als „Naturdetektive“ zum Insektensammeln nach draußen.
Hierbei kam ich im Gespräch mit Kollege A auf einen weiteren relevanten Unterschied zwischen Deutschland und Dänemark: So werden im nächsten Jahr die beiden Klassen des 5. Jahrgangs von insgesamt drei Lehrkräften unterrichtet, die sich die Klassenlehrerschaft teilen. Es wird als vorteilhaft angesehen (auch von den SuS), so wenig verschiedene Lehrkräfte wie möglich in einer Jahrgangsstufe zu haben. Dies lässt sich bis in die Abgangsklassen (9. Klassen) nicht mehr ganz durchsetzen, steht hier nach meiner Einschätzung aber auch für das Schaffen einer vertraulicheren Atmosphäre in der Schule.
Dienstag, 14.05.
Dieser Tag startete nicht in der Skads Skole, sondern im in Esbjerg gelegenen Vognsbølpark. Dort fand der diesjährige ”orienterungløb” statt, ein sportlicher Wettbewerb für verschiedene Klassenstufen, deren (Regional-)Sieger zum Landesfinale nach Billund eingeladen werden. Dieser Tag war geprägt davon, was ich in Deutschland zum großen Teil als „Leerlauf“ eingeordnet hätte, da von den 4 Stunden Aufenthalt im Park ca. 40 Minuten mit der eigentlichen Aktivität gefüllt waren. Aber die übrige Zeit verbrachten die SuS mit diversen kurzweiligen Aktivitäten. Smartphones waren auch während dieser Zeit tabu und spielten keine Rolle.
Eine der beiden 4. Klassen gewann den Wettbewerb innerhalb des Jahrgangs. Nicht zu beobachten waren im Anschluss Überlegenheitsgesten der Siegerklasse noch spürbare Missgunst der unterlegenen Klasse. Es schien vielmehr so, als ob dem Sieger nun eher das Beste für das Finale im Billund gewünscht würde. Der scheinbare individuelle Nachteil (nicht Sieger geworden zu sein) wurde anscheinend für das Wohl der Schulallgemeinheit hintenan gestellt, wobei ich hier vielleicht auch zu viel hinein interpretiere.
Mittwoch, 15.05.
Dieser Tag war wieder von praktischem Arbeiten im naturwissenschaftlichen Bereich geprägt. Mit zwei 6. Klassen (die eine von 8 – 9.30 Uhr, die zweite von 10 – 11.30 Uhr) wurde die Produktion von Bioethanol durchgeführt. Während die erste Gruppe schon das Vorprodukt (im Prinzip Bier) destillieren konnte, hat die zweite Gruppe die Herstellung von Bier durchgeführt. Den Herstellungsprozess werde ich nun nicht näher darstellen, vielmehr aber den Aspekt, dass hier in Gruppen mithilfe einer Handreichung zur Vorgehensweise lösungsorientiert gearbeitet werden musste. Dass es dabei genau wie am SSG mehr oder weniger motivierte SuS gab, verwundert natürlich nur bedingt. Die Verwendung von Bioethanol z.B. als Treibstoff war hier zwar eine Verbindung zum Thema nachhaltige Energie, spielte aber thematisch keine wirkliche Rolle. Selbstverständlich war hier aber natürlich auch (wie es auch bei uns stattfindet), dass die SuS die Arbeitsplätze komplett selbst aufräumten.
Anzumerken ist hierbei aber auch im Besonderen, dass die Unterrichtszeit zu Beginn intensiv für das Besprechen eines Vorfalls (rassistische Beleidigung(en) vor einigen Tagen durch andere Klassenstufe) genutzt werden musste und die Lehrkraft deutlich darauf hinwies, das in solchen Fällen umgehend die Lehrkräfte einbezogen werden müssen und mit diesen Beleidigungen eine klare Grenze überschritten worden sei. Da dies aber erst verspätet den Lehrkräften mitgeteilt wurde, ließ sich nicht mehr zweifelsfrei die beleidigende Person ausfindig machen.
Eine Doppelstunde an diesem Tag fand noch in der 4. Klasse statt, die noch nicht den Mathe-Test geschrieben hatte – dies wurde nun durchgeführt.
In einer der 4. Klassen befanden sich auch Schüler mit „auffälligem Verhalten“, die in Dänemark nur zum Teil zusätzliche Unterstützung durch eine zweite Lehrkraft oder einen an der Schule tätigen Sozialarbeiter erhalten. Ein Förder- oder auch Sonderschulsystem gibt es zwar grundsätzlich in Dänemark, es wird aber auch versucht, Schüler mit Auffälligkeiten bzw. besonderem Förderbedarf in der Regelschule zu unterrichten. Die nur teilweise individuelle Betreuung (bei uns durch Schulbegleitung) liegt wohl aber auch zum Teil an der jeweiligen Finanzausstattung der Kommune, die für die Finanzierung der in ihrem Gebiet befindlichen Schulen verantwortlich ist
Donnerstag, 16.05.
Am heutigen Tag durfte ich, obwohl immer noch gut betreut durch Kollege A, beim Dänisch-Unterricht der Kollegin B in der 4. Klasse dabei sein. Auch hier war natürlich Kollegin B 10 Minuten vor Unterrichtsbeginn in der Klasse, hörte sich Sorgen und Nöte aber auch schöne Erlebnisse der SuS an. Gleich zum Unterrichtsbeginn hatte die Klasse dann ein Anliegen: scheinbar fand in der jüngsten Vergangenheit eine Verteilung von Süßigkeiten (zu welchem Anlass auch immer) statt, die von einigen aus der Klasse als unfair wahrgenommen wurde. Dies hat Kollegin B direkt aufgegriffen, die Verteilungskriterien transparent erklärt und damit auch am Ende das Verständnis und die Zustimmung für die Verteilungsart (Gerechtigkeit für die Klassengemeinschaft anstelle Bevorteilung Einzelner) der betroffenen Schüler bekommen. Auch dies ist wirklich nur ein kleiner Baustein für Demokratieverständnis und ist nur eine Einzelbeobachtung, zeigt aber auch, dass bei Entscheidungen häufig an das Gemeinwohl gedacht wird, nicht an persönliche Vorteile. Und wenn dies im Anschluss gut kommuniziert wird, sind Individuen auch bereit, persönliche Nachteile hinzunehmen, wenn die Gesellschaft / Gruppe als solches davon Vorteile bekommt. Üblich ist es nun auch in Dänemark, (wieder) stärker das Lesen zu fördern. So findet im Dänischunterricht 20 Minuten Lesezeit in Ruhe statt. Dafür gibt es eine Schülerbücherei in der Schule, die SuS dürfen aber auch Lektüre von daheim mitbringen. Auch konnten grundsätzlich SuS, die mit ihren Aufgaben in der Stunde fertig waren, ihre Zeit mit dem Lesen eigener Lektüre verbringen. Beim Matheunterricht des Vortages konnten die SuS (der 4. Klasse) nach Beendigung des Tests mit ihren Endgeräten weitere Mathe-(Übungs)aufgaben bearbeiten. Natürlich gab es auch hier SuS, die den Test schnell (und oberflächlich) absolvierten, um dann schnell den Laptop herausholen zu dürfen.
Anschließend fand der Sportunterricht der beiden 4. Klassen gemeinsam bei schönem Wetter draußen statt. Dieser begann mit einer Lauf- / Gehübung (1 Minute gehen, 1 Minute laufen, jeweils 10 Durchgänge). Selbstverständlich war auch, dass die beiden Lehrkräfte diese Übung mitabsolvierten. Es gab nun auch SuS, die sich während des Laufens, weswegen auch immer, eine Pause nahmen. Diese bekamen in deutlicher Ansprache nach Beendigung der Übung eine Rückmeldung ihres Verhaltens und durften bei dem eigentlichen, extrem beliebten, Hauptspiel „rundbold“ (ähnlich wie Brennball mit Schläger und Tennisball) nicht aktiv mitmachen, sondern mussten die Punkte zählen. Zu erwähnen ist aber auch, dass nach der deutlichen Ansprache diese beiden SuS, obwohl sie nicht bei dem Spiel mitmachen durften, wieder wie üblich freundlich und nett eingebunden waren. Hier wurde als kleiner Baustein auch wieder zumindest im Ansatz deutlich, dass ein persönlicher Vorteil (Ruhepause, nicht laufen zu wollen) im Verhältnis zur Gesamtgruppe eher negativ eingeschätzt wird.
Noch eine kleine Besonderheit, auch wenn es sich nach mehr anhört, als es war: vor dem Beginn der Laufübung gab mir die Lehrerin B sicherheitshalber ihre recht wertvolle Armbanduhr zum Aufbewahren. Man darf dabei nicht ganz vergessen, dass die Lehrerin mich praktisch nicht kannte und ich mehr oder weniger ein Fremder war – aber vielleicht hat auch der Überbau von Erasmus+ hier für einen Vertrauensvorschuss gesorgt. Jedenfalls wurde mir auch in anderen Situationen praktisch „grundlos“ Vertrauen entgegengebracht, welches ich mir aus deutscher Perspektive eigentlich noch nicht verdient hatte. Dazu passt übrigens ein Artikel aus der Süddeutschen Zeitung vom 18.05, in welchem u.a. steht, dass 75 % der Dänen einander grundsätzlich vertrauen – und damit ist nicht der nächste Bekanntenkreis gemeint, sondern generell die Mitmenschen. Ein Wert, der europaweit spitze ist.
Als Abschluss des Tages durfte ich nun bei den letzten Deutsch-Stunden einer 9. Klasse dabei sein und den Lehrer C in dem Sinne unterstützen, als dass ich quasi Prüfungsgespräche auf Deutsch mit SuS, die dies auch wollten, geführt habe. Auch hier war wenig von Vorbehalten seitens der SuS zu spüren, für die ich praktisch auch fremd war, dennoch viele die Möglichkeit wahrnahmen, ein Gespräch zu führen. Auch der Austausch mit Kollege C war von Vertrauen geprägt (wie mit allen Lehrkräften, mit denen ich in Kontakt kam).
Freitag, 17.05.
Der letzte Tag brach an, mittlerweile hatte ich auch die Fahrzeit so getimet, dass ich um 7.29 Uhr auf dem Schulparkplatz ankam und dann mit einer anderen Lehrkraft das Gebäude betreten konnte. Heute durfte ich mit Lehrkraft D wieder eine der beiden 6. Klassen begleiten, erst beim Dänischunterricht, anschließend bei „Krea“ (= textiles Werken).
Vor Beginn der 1. Stunde (wieder 10 Minuten vor Beginn eigentlich in der Klasse) zeigte mir die Lehrkraft D noch die Schulküche, in der regelmäßig Unterricht stattfindet. Dabei findet dort nicht nur die Essenszubereitung statt, sondern es wird auch über Themen wie Fleischkonsum gesprochen. Dies scheint allerdings keine größere Auswirkungen auf das Alltagsverhalten (der Bevölkerung) zu haben, auch wenn in Dänemark mit ca. 60 kg Fleischkonsum pro Jahr ungefähr 12 kg weniger verzehrt werden als in Deutschland.
Generell war in der Woche der Aspekt der Nachhaltigkeit eher ein untergeordneter. Zwar wurde in den Klassenräumen der Müll getrennt gesammelt – dieser aber im Anschluss (bis auf Papier) praktisch in einem großen Container wieder zusammengeworfen. Bei den Naturdetektiven (am Montag) wurde zwar auf den sorgsamen Umgang mit den Insekten hingewiesen, die „Jagdtechniken“ der SuS nahmen hierbei aber eher weniger Rücksicht auf Verluste. Es gab jedoch im Schulgebäude eine relativ einfach gehaltene (aber voll funktional und auch genutzte) Wasserstation, wo SuS ihre Trinkflaschen nachfüllen konnten. Dies ist schon seit etlichen Jahren ein Wunsch der Schülerschaft am SSG, eine Umsetzung aber in Zukunft aber mehr als fraglich.
Im Dänischunterricht erstellten die SuS nun eine digitale Präsentation eines im Unterricht gelesenen Buches. Obwohl dies als Einzelarbeit (an den Laptops) angelegt war, gab es durchaus kooperierende Gruppen und auch Hilfen zwischen einzelnen SuS untereinander. Schüler, die ihre Präsentation fertig (und auf den Schulserver hochgeladen) hatten, nahmen nun die nächste Leselektüre heraus und hatten stille Selbstbeschäftigung. Auch konnten SuS den Klassenraum ohne Rücksprache mit der Lehrkraft verlassen, um z.B. auf dem Flur zu arbeiten. Hier gehen die Lehrkräfte grundsätzlich davon aus, dass sich die SuS auch mit den Aufgaben beschäftigen (Vertrauensvorschuss).
Nach der Pause ging es dann an das Fach „Krea“(tivität), die SuS stellten eigene Stoffbälle her. Die Arbeitsgeschwindigkeiten waren hierbei sehr unterschiedlich, wobei dies bei der starken Heterogenität der Schülerschaft nicht verwundert. Auffällig war hier auch, dass die Lehrkräfte (2) durchaus auch unterstützend mit Nadel und Faden hantierten und es auch einige Schüler gab, die praktisch nicht an dem eigentlichen Projekt arbeiteten. Hier wurde aus meiner Perspektive deutlich mehr Nachsicht geübt, als das bei uns üblich wäre. In Dänemark schien das Erreichen des individuellen Einzelziels nicht so wichtig zu sein, wie dem Einzelschüler in seiner momentanen Bedürfnislage gerecht zu werden. Autoritäten (wenn ich hier Lehrkräfte so bezeichne) übten in vielerlei Fällen deutlich weniger individuellen Druck aus, ein gesetztes Ziel zu erreichen, als den momentanen Bedürfnissen der SuS nachzukommen. Wobei das eigentliche Unterrichtsziel aber auch nicht komplett vernachlässigt wurde.
Es hatte sich für diese Klasse Besuch angekündigt: die ehemalige (Klassen?)Lehrerin, mittlerweile pensioniert, hatte sich angekündigt, und als sie dann in den Werkraum kam, standen die SuS praktisch Schlange, um die Lehrerin zu umarmen. Ich könnte mir diese Situation in Deutschland nicht wirklich vorstellen – hier aber wirkte es passend und einfach dazugehörend. Es heißt auch nicht, dass in Dänemark quasi Vorgesetzte (was Lehrer für SuS auch in Dänemark faktisch sind) nicht respektiert würden – im Gegenteil. Doch der Umgang innerhalb von Hierarchien ist von relativ viel Vertrauen und Nähe geprägt.
Mit dem Unterricht war auch meine Zeit an der Skads Skole vorbei. Ich verteilte noch die vorbereiteten Abschiedsgeschenke, verabschiedete mich von der Schulleiterin (die anders als in Deutschland keine Lehrerin (mehr) ist) und verließ am folgenden Tag, Samstag den 18.05., Andrup, Esbjerg, Dänemark mit sehr vielen Eindrücken.
Nachbetrachtung und Reflexion
Zu den unten stehenden Einzelaspekten habe ich zwar bereits im obigen Text das meiste angeführt, möchte aber zumindest hier noch die Essenzen zusammenfassen.
Nachhaltigkeit
Nachhaltigkeit war tatsächlich eher eine Randerscheinung in dieser Woche und prägte nicht das schulische Alltagsleben.
Gemeinschaftsgefühl / Soziales Miteinander und Demokratieverständnis
In Dänemark herrscht meiner Ansicht nach ein recht starker gesellschaftlicher Zusammenhalt, dies scheint nicht nur ein Klischee zu sein. Grundlagen hierfür scheinen schon in der Schule angelegt zu werden, wobei nicht zu klären ist, ob dies aufgrund des sowieso bestehenden gesellschaftlichen Zusammenhalts auch so praktiziert wird (Henne – Ei – Problem). An vielen Einzelbeobachtungen wurde deutlich, dass das Individuum einen deutlichen Platz in der Gesellschaft einnimmt, dieses aber in Fällen eines übergeordneten Nutzens nachrangig ist. So wird auch eine Entscheidung aus einer höheren Hierarchie-Ebene akzeptiert, auch wenn man selbst diese für nicht gut hält. So gab es auch in Dänemark in der letzten Vergangenheit einige Schulreformen, die nicht durchweg von allen Lehrkräften als positiv betrachtet wurden, aber dennoch getragen wurden (wobei es hier wie in Deutschland auch nur eingeschränkte Möglichkeiten der Opposition gibt). Eine fordernde Elternschaft wie in Deutschland schien es nicht zu geben, ich habe häufig bei uns den Eindruck, das es einige (nicht die Mehrheit aber auch nicht wenige) Eltern gibt, die fast schon grundsätzlich das Handeln einiger Lehrkräfte in Frage stellen und bei schlechten (oder nicht ganz so guten) Ergebnissen ihrer Kinder bei Prüfungen die Schuld bei der Lehrkraft suchen. Dies scheint in Dänemark nach Gesprächen mit einigen Kollegen vor Ort eher die Ausnahme zu sein. Grundsätzlich scheint die Zusammenarbeit zwischen Lehrern und Eltern von Vertrauen geprägt zu sein (dass die Lehrkräfte grundsätzlich gute Arbeit machen).
Auf einer höheren gesellschaftlichen Ebene könnte dies eine Erklärung dafür sein, dass politische Entscheidungen grundsätzlich von der dänischen Bevölkerung akzeptiert werden und der Gesamtnutzen über den möglichen individuellen Nachteil gestellt wird. So gibt es in Dänemark schon seit einiger Zeit das politische Ziel, die Kommunikation grundsätzlich digital zu gestalten, was zu einer deutlichen Einschränkung des Postwesens bei gleichzeitiger massiver Preiserhöhung geführt hat. Dies mag bei einem (häufig älteren und nur bedingt technikaffinen) Teil der dänischen Bevölkerung kritisch gesehen worden sein, große gesellschaftliche Auflehnung gab es hierzu aber nicht. Man stelle sich in Deutschland vor, dass die Post ankündigen würde, das Briefporto auf 5 € zu erhöhen und ein Standardbrief nun innerhalb von 2 bis 5 (!) Tagen zugestellt würde. Ein Schnellbrief (Quickbrev), der möglichst am Folgetag zugestellt wird, kostet ca 8 € Porto und dies ist auch nur ein Angebot innerhalb Dänemarks. Aber auch hier: relativ breite Akzeptanz der Bevölkerung im Rahmen der Digitalisierungspläne der Regierung.
Ich habe einen tiefen Einblick in dänische Gesellschaftsstrukturen erhalten können, viel Individualkommunikation beobachten dürfen und dabei nach meiner Einschätzung zum Teil deutliche Unterschiede bei der Herangehensweise zum Beispiel an Reformprozesse herausinterpretieren können. Ob wir in Deutschland einige Aspekte zum Positiven (zum Beispiel das Schaffen von mehr Ver- oder Zutrauen von der Elternschaft zu den Lehrkräften (aber auch anders herum)) verändern können, halte ich eher für fraglich, da in beiden Ländern über lange Zeit gewachsene Strukturen zu beobachten sind. Machbar halte ich jedoch das stärkere Offenlegen der Hintergründe von Entscheidungsprozessen, eine Schaffung von mehr Transparenz, eine verbesserte Kommunikation von Problemlagen und Lösungsansätzen, sowohl auf der kleinen (schulischen) Ebene als auch auf der größeren (politischen).
Insgesamt empfinde ich die Möglichkeit, eine Woche bei einer anderen europäischen Schule „wie ein Schatten“ mitlaufen zu können, als enorme Bereicherung. Dies gilt sowohl für den beruflichen Alltag (=> neue / andere Ansätze kennenzulernen) als auch für die persönliche Situation. So ist es tatsächlich eine Herausforderung, für einen begrenzten Zeitraum einen komplett unbekannten (Schul-)Alltag vor sich zu haben, auch wenn mir das System Schule an sich natürlich bekannt ist. Aber auch „über seinen Schatten“ springen zu müssen, mit eigentlich noch Fremden (aber Gleichgesinnten) in Kontakt zu treten, hat mir persönlich natürlich genutzt. Dass mir grundsätzlich offen und freundlich begegnet wurde, bestätigt mich in meiner Haltung, auch mir Unbekannten erst einmal offen und auch neugierig gegenüber zu treten und dies auch weiterhin so zu praktizieren. (JP)