Job Shadowing in Salamanca, Spanien

ERASMUS: Erinnerungskultur in Salamanca

Im Rahmen des Erasmus-Programms hatte ich die Möglichkeit, eine Woche lang an einer spanischen Schule in Salamanca zu hospitieren. Mein thematischer Schwerpunkt lag dabei in der spanischen Erinnerungskultur.

Das Collegio Venancio-Blanco ist am ehesten mit einer deutschen Berufsschule zu vergleichen. Die Schule ist mit 1200 Schülerinnen und Schülern und über 100 Lehrkräften deutlich größer als das SSG und liegt in einem eher sozial schwachen Vorort Salamancas, die Schülerinnen und Schüler kommen aber aus dem gesamten Stadtgebiet. 

Salamanca selbst ist eine altehrwürdige Universitätsstadt mit vielen Sehenswürdigkeiten, die Altstadt ist zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt worden. Dominiert wird die Stadtsilhouette von einem prächtigen Kathedralbau aus der Gotik. Die Universität ist eine der ältesten Europas.

Vormittags habe ich bei unterschiedlichen Lehrkräften im Unterricht hospitiert, vornehmlich in Kunstgeschichte, Literatur und vor allem in Geschichte. In einigen Stunden war die Unterrichtssprache Englisch, in den meisten aber Spanisch – so war es ein großer Vorteil, dass ich wenigstens ein bisschen Spanisch kann und so immerhin erahnen konnte, worum es ging. Nachmittags gab es verschiedene Termine: einen von einem Universitätsprofessor geführten Rundgang durch Salamanca mit dem Schwerpunkt der Franco-Diktatur, einen Besuch in einem städtischen Archiv und eine Exkursion zu der ehemaligen Grabstätte Francos.

Wie ist es nun um die kritische Auseinandersetzung mit der Franco-Dikatatur in Spanien bestellt? Die Antwort fällt aus deutscher Perspektive doch recht ernüchternd aus.

Fangen wir mit dem Unterricht an. In der Oberstufe im Geschichtsunterricht wird die Franco-Diktatur nach Auskunft der Kolleginnen drei bis fünf Wochen lang behandelt, variierend je nach Lehrkraft. In dem aktuellen Oberstufenbuch für Geschichte umfasst die Franco-Zeit – die immerhin fast vier Jahrzehnte anhielt – lediglich 16 Seiten. Wenn Lehrkräfte die Franco-Diktatur in einem positiven Licht erscheinen lassen – was durchaus vorkommt – , drohen Ihnen keinerlei Sanktionen.

Ein ähnliches Bild zeigt sich bei dem Umgang mit den baulichen Hinterlassenschaften der Franco-Diktatur in Salamanca. Die Stadt war während des Spanischen Bürgerkriegs zeitweilig Sitz von General Franco; von hier aus befehligte er seine Truppen. An dem Haus, in dem Franco residierte, hängt bis heute eine steinerne Tafel, auf der steht: „Aqui vivio y dirigio nuestra cruzada nacional el caudillo Franco.“ Die Tafel wurde bis heute weder entfernt noch kritisch kommentiert.

Ein weiteres Beispiel: Der zentrale Platz Salamancas ist wie in so vielen spanischen Städten eine überaus prächtig Plaza Mayor. An den Gebäuden ringsum gibt es einen durchgängigen Fries, in dem in Medaillons die Heldengestalten der spanischen Geschichte abgebildet sind. Bis vor kurzem dabei: Franco. Erst 2019 wurde sein Konterfei entfernt, der Platz ist jetzt leer. Eine Kommentierung gibt es auch hier nicht; dem Fremden erschließt sich der leere Platz nicht. Insgesamt wurden in Salamanca nur wenige Hinterlassenschaften der Franco-Diktatur entfernt (obwohl ein Gesetz dies eigentlich verlangt!), selten werden sie kommentiert, meistens hängen sie noch wie selbstverständlich da.

In Salamanca gibt es wie in vielen anderen spanischen Städten ein Archiv, in denen Akten aus der Franco-Diktatur aufbewahrt werden. Opfer können sich hier über ihre Leidensgeschichte oder die ihrer Verwandten informieren. Aber auch bei diesem Thema ein zwiespältiges Bild: während die Opfer eine Entschädigung bekommen können, haben die Täter eine generelle Amnestie erhalten. Es ist also nicht mehr möglich, ihrer gerichtlich habhaft zu werden.

Ein letztes, besonders krasses Beispiel ist das Valle de los Caidos. Dieser überaus gruselige Ort befindet sich in den im Winter verschneiten Bergen, ungefähr auf halber Höhe zwischen Madrid und Salamanca. Errichtet wurde dieser „Helden-Gedenkort“ für die Gefallenen des spanischen Bürgerkriegs schon während der Franco-Diktatur. Zwangsarbeiter wühlten eine gigantische unterirdische Höhlenkirche in einen Berg, zugänglich von zwei Seiten, gerahmt von typisch faschistischer Monumental-Architektur mit christlichen Elementen wie einem riesigen Kreuz. Nach seinem Tod wurde Franco hier ebenfalls bestattet, in den Jahrzehnten danach war es eine Pilgerstätte für Franco-Fans. Erst 2019 wurde dem Spuk ein Ende bereitet und Franco auf einen Madrider Friedhof umgebettet. Doch was nun? Die Opfer der Diktatur hätten gern einen Gedenkort gehabt, dafür gab es jedoch keine Mehrheiten. Und weil man sich letztlich nicht einigen konnte, hat man das Valle de los Caidos offiziell zum „unpolitischen Ort“ erklärt, politische Kundgebungen welcher Richtung auch immer sind nun nicht mehr statthaft. Aber was machen jetzt die heimatlosen Franco-Fans? Sie feiern einfach einen Gottesdienst! Denn in der unterirdischen Kirche werden nach wie vor regelmäßig Gottesdienste abgehalten. Ich fragte meine spanischen Kollegen: in jedem spanischen Dorf gibt es eine Kirche, warum fährt man also ausgerechnet weit draußen an diesen kalten, seltsamen Ort und betet in einer gruseligen Höhlenkirche? Nun, die Antwort war eindeutig: es sind als Gottesdienste getarnte Huldigungen Francos. Hinterher kann man dann nebenan in einem edlen Restaurant gepflegt speisen und über die gute alte Zeit sinnieren. Einen Shop mit Devotionalien gibt es natürlich auch noch. Irgendeinen Hinweis auf die Geschichte des Ortes geschweige denn ein Museum sucht der Besucher hingegen vergeblich.

Bedenken muss man bei alledem, dass die Franco-Diktatur nicht wie die NS-Zeit in Deutschland schon acht Jahrzehnte, sondern erst fünfzig Jahre her ist. Es gibt also noch viele unmittelbar Involvierte. Vielleicht ist die Situation wie im Deutschland der 50er oder 60er Jahre: weil es keinen gesellschaftlichen Konsens gibt, schweigt man lieber und versucht das Thema zu vermeiden. Und unumstritten ist die deutsche Erinnerungskultur in Deutschland ja auch nicht mehr: für die AfD ist die NS-Zeit lediglich ein „Fliegenschiss“ (A. Gauland) und das Holocaust-Mahnmal ein „Denkmal der Schande“ (B. Höcke).